MEZZOSOPRAN
Welche drei Rollen schätzt du besonders?
Ich schätze besonders Rollen, die mich richtig herausfordern und bei denen ich in die Tiefe gehen kann. Unter den Opern von der Barockoper über Mozart, Strauss bis hin zum Zeitgenössischen gibt es etliche sehr interessante Partien. Die vielschichtigen Charaktere eines Cherubino oder Sesto bei Mozart zeigen oft sehr schnelle Wechsel in der Dramatik: Himmel und Abgrund bestehen fast nebeneinander. Die Melodieführung wirkt dabei scheinbar voller Leichtigkeit, mit einfachen Mitteln in eine konkrete Form gebracht. Es gehört mit zum Schwierigsten, die Parallelität dieser Ebenen in der Partitur zu erkennen; sie darzustellen, erfordert extreme Präzision.
Faszinierend sind für mich die Mezzosopran – Charaktere von Richard Strauss: Die Tonsprache des Komponist in „Ariadne auf Naxos“ oder des Oktavian im „Rosenkavalier“ gibt die Charaktere in überbordender Expressivität und Strahlkraft wieder.
Bei einer zeitgenössischen Oper gibt es meist keine vertraute Klangwelt, hier liegt die größte Herausforderung im Verständnis der Klangsprache des jeweiligen Komponisten und in der Einstudierung der Partie. Im Frühjahr 2022 folgte ich der Einladung an die Semperoper Dresden, wo ich in zehn Tagen die Hagar in Torsten Rasch’s Uraufführung „Die andere Frau“ übernahm. Die szenische Umsetzung war spannend, denn es gab keinen direkten Kontakt zum Dirigenten. Wir arbeiteten mit Monitoren und zusätzlichen Dirigenten an den Bühnenseiten – ein Großprojekt. Im Dialog mit dem Komponisten konnte ich die Partie besser verstehen; sie ist mir sehr ans Herz gewachsen.
Welcher Moment oder welche Phase im gesamten Produktionsprozess (vom Erlernen einer Rolle bis zur Aufführung) magst du am meisten?
Das gewissenhafte Entziffern, Verstehen und gründliche Einstudieren der Partitur ist eine wichtige Voraussetzung für mich.
Meine Lieblingsphase ist das Zusammenkommen mit dem Team um Regie und Orchester, das lebendige Arbeiten an der Entwicklung einer Idee. Das Team erschafft gemeinsam etwas Neues. Natürlich ist die Vorstellung, der Live – Moment besonders: Die Zuschauer formen die Aufführung durch ihr Erleben mit und so entsteht jeden Abend eine einzigartige Version des Stücks.
In einem Produktionsprozess bleibt es somit immer spannend.
Was sollte/könnte die Rolle des Musiktheaters in der Gesellschaft sein?
Das Theater in all seinen Formen gibt der Gesellschaft die Möglichkeit zusammenzukommen und sich gemeinsam auf ein Erlebnis einzulassen. Die Menschen gestalten den Moment einer Vorstellung durch ihre Teilnahme mit. Diese Gemeinschaft und Gemeinsamkeit, die daraus entsteht: das ist die Essenz des Theaters.
Interviewer: Peter te Nuyl
Annelie Sophie Müller studierte Gesang, Liedinterpretation sowie Schulmusik mit Klavier an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart und Solistenklasse Gesang bei Susanna Eken am Konservatorium Kopenhagen. Prägende Zusammenarbeit verband sie mit Brigitte Fassbaender und Peter Berne sowie aktuell mit Krassimira Stoyanova.
Der 1. Preis des Internationalen Liedwettbewerbs der Hugo – Wolf – Akademie Stuttgart 2010 öffnete ihr die Türen zu den großen Konzert- und Opernbühnen. Zur Saison 2010/11 wurde sie in das Junge Ensemble der Komischen Oper Berlin engagiert und konnte rasch Aufmerksamkeit mit der Übernahme der Hauptrolle Pe-Ki in der Neuproduktion „Le cheval de bronze“ erregen.
Als Mitglied der Académie Européenne de Musique 2011 debütierte sie mit Mozarts Cherubino im renommierten Festival d‘ Aix – en – Provence.
Von der Saison 2012/13 an war Annelie Sophie als Ensemblemitglied in Partien wie Hänsel / Hänsel und Gretel, Minerva/ Ulisse, Mercédès / Carmen, Hermia / Midsummernight‘s Dream und erneut als Cherubino an der Komischen Oper zu erleben. Dort arbeitete sie mit DirigentInnen wie Stefan Soltesz, Kristiina Poska, Patrick Lange, Christian Curnyn, Ivan Repušić und Alexander Vedernikov. Highlights ihrer letzten Saison waren Phébé / Castor et Pollux mit Regisseur Barrie Kosky, Zerlina in Herbert Fritschs Produktion des Don Giovanni und ihr Rollendebüt als Prinz Orlofsky / Die Fledermaus in der Regie von Andreas Homoki.
Wichtige Rollendebüts wie Komponist / Ariadne auf Naxos am Theater Gießen mit Regisseur Hans Hollmann und Sesto / La Clemenza di Tito am Theater Bregenz folgten. Nach ihrem Hausdebüt an der Deutsche Oper am Rhein wirkte sie als Wellgunde / Götterdämmerung in der CD – Aufzeichnung unter Dirigent Axel Kober und den Duisburger Philharmonikern mit.
An der Semperoper Dresden gab Annelie Sophie mit der Partie des Amando / Le Grand Macabre mit Dirigent Omer Meir Wellber und Regisseur Calixto Bieito ihr Hausdebüt. Anschliessend wurde sie für die Titelpartie Hagar in der Uraufführung „Die andere Frau“, als Cherubino sowie als Prinz Orlofsky erneut an die Semperoper eingeladen.
In der Spielzeit 2022/23 debütierte Annelie Sophie mit der Titelpartie der Cenerentola an der Volksoper Wien. Als Solistin des Ensembles gestaltete sie u.a. die Partie der Georgine in der Uraufführung „Die letzte Verschwörung“ mit Regisseurin Lotte de Beer.
Die aktuelle Spielzeit 2023/24 eröffnet sie erneut als Cenerentola und wird als Prinz Orlofsky, Hänsel sowie mit Solowerken von G. Ligeti in der Neuproduktion „The moon wears a white shirt“ des Wiener Staatsballetts zu hören sein.
Als gefragte Konzertsängerin gastierte Annelie Sophie Müller u.a. im Konzerthaus Wien, dem Gasteig München, dem Gewandhaus Leipzig, dem Konzerthaus Berlin, der Philharmonie Luxembourg und der Osaka Symphony Hall in Japan. Sie gestaltete neben Klaus Maria Brandauer die Altpartie der Bach’schen Johannespassion in Rom, war bei den Münchner Opernfestspielen mit L. Berios Folk Songs sowie zuletzt mit einer Mozartgala beim Stuttgarter Kammerorchester und bei der Deutschen Radio Philharmonie zu Gast. Sie musizierte mit Orchestern wie dem Gewandhausorchester Leipzig, dem MDR Radiosinfonieorchester, dem WDR Sinfonieorchester und dem Balthasar – Neumann - Ensemble und arbeitete mit Dirigenten wie Dmitri Jurowski, Eiji Oue, Alexander Prior, Andris Poga, Helmut Rilling, Kristjan Järvi und Thomas Hengelbrock.
Als Liedsängerin gab Annelie Sophie Rezitale beim Schleswig – Holstein – Festival, in der Alten Oper Frankfurt, bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen, bei der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie, den Traunsteiner Festspielen und dem Heidelberger Frühling.
Saison 2023/24 (Stand: August 2023)
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